KLEINE WÖRTER

Kernwortschatz (KWS) ist der deutsche Ausdruck für «core vocabulary» und bezeichnet die am häufigsten verwendeten Wörter einer Sprache. Zu den sogenannt kleinen Wörtern zählen etwa «ich», «du», «nochmals», «fertig», «auch», «weg», «mehr», «haben», «können» etc. 200 bis 300 kleine Wörter machen 80% des Gesprochenen aus, unabhängig von der Situation, vom Gesprächsthema und dem Alter des Sprechers.

Die restlichen 20% der gesprochenen Sprache werden mit Wörtern aus dem Randwortschatz (RWS) gebildet, d.h. mit themenspezifischen Inhaltswörtern wie «Tisch», «Hund», «spazieren» etc. (Sachse/Boenisch, 2007).

Ein Zielwortschatz (ZWS), gebildet aus KWS und individuell ausgewähltem RWS ermöglicht unterstützt kommunizierenden Menschen das Ziel einer selbständigen, spontanen und freien Kommunikation zu erreichen.

Grosse Wirkung

Die Bedeutung des KWS zeigt sich an dessen umfassender Verwendung. Er liegt den meisten Gesprächen zugrunde.

Beispiele für Sätze, die ausschliesslich mit KWS gebildet sind: «Wir gehen heute weg. Willst du auch mit? Ich weiss noch nicht.»

Der KWS spielt in der mündlichen, schriftlichen und Unterstützten Kommunikation (UK) eine zentrale Rolle.
(«Mit UK werden alle pädagogischen und therapeutischen Hilfen bezeichnet, die Personen ohne oder mit erheblich eingeschränkter Lautsprache zur Verständigung angeboten werden.» Wilken, 3, 2002)

Nur mit KWS kann sich die Sprache voll und regelgerecht entwickeln! Der KWS macht die Wirkung der Sprache auf eindrückliche Weise erfahrbar!

Die Umsetzung der Erkenntnis der Wichtigkeit von KWS ist auch für erfahrene Fachleute eine Herausforderung. J. Boenisch schreibt in uk&forschung_3/2014: „Allerdings bedarf es hierzu eines Umdenkens in der Gestaltung von Therapie- und Fördersettings, da weder die pädagogisch-therapeutisch Professionellen noch das soziale Umfeld von unterstützt kommunizierenden Menschen in der Regel darin geschult sind, Förder- und Alltagssituationen zu gestalten, die die bewusste Nutzung von Kernvokabular zum Ziel haben….Weitere Ideen und ergänzende methodische Konzepte sind notwendig, um den Paradigmenwechsel von einer inhaltswörterfokussierten zu einer kernvokabularorientierten  Sprachförderung unterstützt kommunizierenden Menschen weiter voranzutreiben.“

Eine Idee sind die Spielideen „kleine Wörter – grosse Wirkung“!

Für wen?

Alle Menschen brauchen diese Wörter, also sollten alle Menschen diese Wörter lernen.
Das heisst:

Kinder, die die Sprache (noch) nicht selber entdecken, müssen mit KWS gefördert werden, damit die Sprachentwicklung in Gang kommen kann. Kommunikationskompetenz erwirbt man durch aktives Kommunizieren. Die eigene, aktive Nutzung von Substantiven und Verben, Adjektiven und Adverbien, Pronomen, Präpositionen und Konjunktionen ist unerlässlich für den Aufbau einer regelhaften Sprache.

Kinder, die noch keine Sätze bauen und noch nicht erzählen können, brauchen KWS, denn die sogenannt kleinen Wörter funktionieren als Motor für die Grammatikentwicklung: Es besteht ein Zusammenhang zwischen dem produktiven Wortschatz und dem Grammatikerwerb. Kommunikationsanfänger sollen Zugang haben zu Wörtern, die das Kind ermuntern, zwei, drei und mehr Wörter aneinander zu reihen. Zum Beispiel «mehr» um eine Weiterführung zu verlangen, «nein» um eine Negation auszudrücken und «dort» um eine Lokalisierung anzuzeigen. Wenn die Kinder Sätze sagen können, können sie diese mit anderen kleinen Wörtern zu Erzählungen zusammensetzen. «Zunächst werden Konjunktionen wie «und», «aber“, «oder» verwendet. Danach werden temporale Zusammenhänge mit «dann», «wenn», «bevor» benutzt und schliesslich auch kausale Zusammenhänge mit Wörtern wie «weil», «wenn», «deshalb» hergestellt.» (Stahl/Rieker, 2010) Die Kinder brauchen den richtigen Wortschatz zum Erzählen!

Kinder mit einer schweren geistigen Behinderung, die voraussichtlich nur wenige Wörter lernen werden, müssen unbedingt mit KWS zur Verfügung haben, denn je kleiner der zu erwartende Wortschatz, desto flexibler einsetzbar müssen die Wörter sein!

Menschen, die eine elektronische Kommunikationshilfe benutzen, brauchen KWS, denn je kleiner die Felder-, bzw. Symbolanzahl, desto wichtiger ist eine Wortschatzauswahl, welche die Erkenntnisse der Forschung berücksichtigt. So haben diese Menschen Wörter zur Verfügung, mit denen sie unabhängig und kreativ kommunizieren können.

Menschen, die Deutsch als Zweitsprache lernen, brauchen aus allen oben genannten Gründen auch KWS.

Ana Holenstein-Wyrsch, Gesellschaftsstrasse 11, CH-3012 Bern, +41 31 301 86 76,
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